Emil Stumpp (1886-1941)
Maler und Zeichner
- Studium der Germanistik, Geschichte und Philosophie in Marburg, Berlin.
- Soldat im 1. Weltkrieg (1914-18).
- Lehrer am Hufengymnasium in Königsberg (1919-24).
- Mit der Schwedin Hedvig Glas verheiratet, fünf Kinder.
- Ab 1924 freischaffender Künstler und Pressezeichner.
- Zeichnet die Prominenz seiner Zeit.
- Es entstehen mehr als 20.000 Porträtzeichnungen von Politikern, Wissenschaftlern, Künstlern, Sportlern.
- Besonderheit: eigenhändige Unterschrift der „Modelle“ auf den Lithographien.
- Erhält 1933 Berufsverbot wegen einer Hitlerzeichnung im Dortmunder Generalanzeiger.
- Lebt seitdem häufig im Ausland, verdient den Lebensunterhalt durch Auftragsporträts sowie durch Aquarelle und Lithographien von Landschaften.
- Wird wegen freimütiger Äußerungen und Gespräch mit französischen Kriegsgefangenen am 2.10.1940 verhaftet und zu einem Jahr Gefängnis verurteilt.
- Stirbt am 5.4.1941 im Gefängnis Stuhm an den Folgen der Haft.
- Das Urteil wurde bis heute nicht revidiert.
Leben und Werk
Über Emil Stumpp
Der Künstler Emil Stumpp ist heute in Deutschland weitgehend unbekannt. Trotzdem haben vermutlich die allermeisten Deutschen schon Arbeiten von Emil Stumpp gesehen: in vielen Zeitungen, in vielen Büchern, im Internet, auf Briefmarken, in den Räumen des Berliner Reichstagsgebäudes : an den Wänden ein Fries von Portraitlithographien von Emil Stumpp.
Emil Stumpp ist am 17.März 1886 im süddeutschen Neckarzimmern, und aufgewachsen ist er in Worms am Rhein, wo sein Vater „Obergärtner“ für die ausgedehnten Park- und Gartenanlagen der Wormser Industriellenfamilie Heyl war. Emil besucht die Oberrealschule, nachmittags malt und zeichnet er gerne, und vor allem macht er mit beim Wandervogel, jener bürgerlich- antibürgerlichen Jugendbewegung, die gegen alles Spießige ist, wandert, Volkslieder sammelt, gegen Zigaretten und Alkoholgenuss ist, allem Lebensreformerischen gegenüber aufgeschlossen, die „Natürlichkeit“ zu einem wichtigen Prinzip macht. Der Wandervogel wird prägend für sein ganzes Leben.
Nach dem Abitur geht er nach Karlsruhe zur Kunstschule, bricht dieses Studium aber nach nur einem Semester wieder ab. Ein genaue Ursache ist nicht bekannt – vielleicht war ihm die Ausbildung zu akademisch – „Lieber ein tüchtiger Philologe als ein mittelmäßiger Künstler“. Er absolviert seinen Militärdienst (und verbringt einen Tag in der Militärstrafanstalt Tempelhof – Grund?) und studiert dann in Marburg und Berlin Germanistik, Geschichte und Philosophie.
Weil er auch noch Schwedisch und Norwegisch lernt, liegt es nahe, dass er ein Jahr in Skandinavien verbringt, wo er „großes freies Menschentum“ und die unverfälschte Natur sucht, eine Fjällwanderung im Winter macht, aber nicht in Uppsala an der Universität studiert, wie er fälschlich in seinem Personalblatt für den Eintritt in höhere Lehranstalten angibt. Ein besonderes Mitbringsel hat er bei seiner Rückkehr dabei: die schwedische Studentin Hedvig Glas, die er alsbald heiratet. Und als er im Sommer 1914 Examen macht, hat er bereits drei Kinder – und der Weltkrieg ist da. Wie viele andere Wandervögel auch – und hier durchaus einem allgemeinen Trend folgend – meldet er sich freiwillig und wird bereits im Herbst 1914 an der russischen Front zum ersten mal verwundet. Noch im Lazarett erhält er das Angebot, als „Kriegsmaler“ zu arbeiten. Aber „Kriegskunst“ zu machen war er nicht bereit, doch es existieren durchaus Zeichnungen von den Gegenden, in denen er als Soldat eingesetzt war. Er sieht für sich nur zwei Möglichkeiten: Entweder an der Front oder offen gegen den Krieg zu sein – „Aber dazu war ich noch nicht reif genug“. Immerhin, Frontberichte, die er zu schreiben hat, werden verworfen, weil er Verluste angibt.
Er wird noch weitere dreimal verwundet und ist bei Kriegsende Leutnant und Adjutant des Kommandanten des Königsberger Bahnhofs, damals von großer Wichtigkeit für die Verbindung nach dem Osten. (Seine Familie hatte er zu seiner großen Freude nach Königsberg nachholen können, die Wohnung lag in der Schlossteichstraße.)
Der durch den Krieg politisierte Leutnant Stumpp wird am 10.Nov. 1918 durch den Arbeiter- und Soldatenrat zum Kommandanten des Bahnhofs gewählt. Ein Konflikt entwickelt sich dadurch, dass das Offizierskorps eine eigene Standesvertretung innerhalb des Soldatenrates beansprucht.
Am 3.März wird er von regierungstreuen Truppen verhaftet, nach 5 Tage wieder freigelassen, man durchsucht seine Wohnung nach spartakistischer Literatur.
Er setzt sich für inhaftierte Kameraden ein und wird prompt erneut verhaftet, was damals lebensgefährlich war, man denke an das Schicksal von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg und vielen anderen. Dann endlich, nach weiteren vier Wochen kommt er schließlich frei und wird mit 33 Jahren Referendar am Königsberger Hufengymnasium – und hat bald schon fünf Kinder.
Vom Beginn seines Schuldienstes an fühlt er sich im Zwiespalt zwischen Lehrerdasein und Künstlertum. Er wird von seinen Schülern geliebt, manchmal als Salonbolschewist bezeichnet, was er mit Lachen quittiert, gilt als „modern“, ist ein guter Sportler (Kurz- und Mittelstrecken), und, ganz wichtig, er hat Freude am Unterrichten.
Aber schon 1919 gründet er den „Wirtschaftsverband bildender Künstler“ und übernimmt auch gleich den Vorsitz. Er organisiert Ausstellungen in Königsberg. Und schließlich, im Dezember 1923 lässt er sich bis zu den Weihnachtsferien ohne Vergütung beurlauben, um in Stockholm zu zeichnen, zu malen und vor allem zu portraitieren. Dass diese Tätigkeit auch finanziell lukrativ sein könnte, davon hatte er sich u.a. durch Recherchen bei der schwedischen Verwandtschaft seiner Frau überzeugt. Der Erfolg gibt ihm Recht, so dass er es wagt, kaum ein halbes Jahr nach dem Ende der Inflation, nach den Osterferien 1924 den Dienst als Lehrer und damit als Beamter zu quittieren – die Schulverwaltung wird es gar nicht so ungern gesehen haben, wurde man doch „von oben“ zu Abbaumaßnahmen gedrängt. Er musste es tun, „auch um nicht zerrissen zu werden“, wie er später schreibt.
Und nun taucht Emil Stumpp ein in das Berlin der zwanziger Jahre. Aber die Familie mit den fünf Kindern bleibt weiter in Königsberg wohnen.
Der Anfang ist schwieriger als in Stockholm, das ja keinen Weltkrieg und keine Inflation hinter sich hatte. Zunächst muss er sich an Bekannte und Freunde halten, die Interesse haben, gezeichnet zu werden und diese Portraits zu erwerben, und von denen er sich in deren Bekanntenkreis weiterempfehlen lässt. Doch bald gelingt es ihm, Verbindung zu Zeitungen aufzunehmen. Die Druckqualität von Portraitphotos war in der Massenpresse der damaligen Zeit noch sehr schlecht, während Zeichnungen recht gut wiedergegeben wurden – Emil Stumpp wird Pressezeichner.
Schon 1925 hat er Kontakt zu etwa 30 Zeitungen, und er lebt von nun an nicht mehr vom Verkauf seiner Bilder sondern von deren Publikation.
Seine künstlerische Technik passt sehr gut in diesen Rahmen: Er arbeitet mit Umdrucklithographien, d.h. die von dem Künstler mit einem Fett-Kohle-Stift hergestellte Zeichnung wird von einem Lithographen, damals ein handwerklicher Lehrberuf, auf einen Kalkstein („Solnhofener Platte“) übertragen, von dem dann die vom Zeichner bestellte Auflage abgedruckt wird, die sich in der Regel danach richtet, bei wie vielen Druckorganen Stumpp Absatzmöglichkeiten für ein bestimmtes Portrait vermutet. Danach wird die Platte abgeschliffen und kann für einen neuen Druck verwendet werden. Diese zweimalige Übertragung hat den großen Vorteil, dass die Lithographien nicht seitenverkehrt sind, wie das etwa bei Radierungen der Fall ist.
Eine Besonderheit bei Stumpp ist, dass er die Portraitierten auf dem Originalblatt unterschreiben lässt, was sozusagen eine Autorisierung darstellt. Dazu kommt dann später oft, weil es sich um immer prominentere Personen handelt, ein Bericht aus der Hand des Zeichners über das Zustandekommen des Portraits, der zu dem Bild veröffentlicht werden kann.
Er richtet sich mit der Zeit ein „Atelier“ ein, in dem aber nicht gemalt oder gezeichnet wird, sondern das in erster Linie der Lagerung und Ordnung des schnell wachsenden Bestandes an Originalzeichnungen und Drucken dient. Rasch wird sein Bekanntheitsgrad größer, und schon 1926 veröffentlicht das „Stuttgarter Neue Tageblatt“ ein Buch ausschließlich mit seinen Zeichnungen: „Köpfe in Schwaben“ mit Portraits u.a. von Theodor Heuß, Ferdinand Porsche, dem Luftschiffkonstrukteur Hugo Eckener, dem Schriftsteller Guido Kolbenheyer, dem Pianisten Wilhelm Kempff, den Uhrenfabrikanten Junghans, den Autobauern Wilhelm und Karl Maybach. Und es ist nur folgerichtig, dass sich mit der größeren Bekanntheit des Künstlers auch der wirtschaftliche Erfolg einstellt. Man hängt ihm und seinen Zeichnungen ein Qualitätssiegel an: „Stumpp mit zwei p, aber alles andere als pianissimo“. Aus dem Jahre 1928 gibt es eine Pressemeldung, dass ein Hochstapler seinen bekannten Namen benutzt und dann reihenweise unbezahlte Hotelrechnungen hinterlassen hat.
Aus seiner Marburger Studienzeit hat Stumpp Beziehungen zu Adolf Stöcker, dem späteren Chefredakteur des „Dortmunder Generalanzeigers“, einem linksliberalen Blatt, mit einer Auflage von 350 000 die größte Tageszeitung außerhalb Berlins. Diese Zeitung wird vor allem ab 1929, als die Verhältnisse im Gefolge der Weltwirtschaftskrise immer schwieriger wurden, zu seiner zuverlässigsten Stütze.
Wo findet er nun seine zeichnenswerten Personen? Am günstigsten sind Situationen, wo viele Menschen zusammenkommen. Also etwa Politiker bei Konferenzen, etwa in Genf, in Scheveningen, in den Haag oder einfach bei Reichstagssitzungen, bei Kongressen, wo wichtige Persönlichkeiten sich treffen oder auch bei großen Sportereignissen; hier kommt es vor, dass er in seiner Arbeitswut an einem Tag bis zu 35 Personen portraitiert. Auch bei wichtigen Prozessen ist er akkreditiert, etwa dem Calmetteprozess in Lübeck, wo es um die Aufklärung von tödlichen Impfschäden ging oder vor allem dem Prozess vor dem Reichsgericht in Leipzig „Preußen gegen das Reich“, der nach dem „Preußenschlag“ Papens im Sommer 1932 angestrengt worden war, nachdem der damalige Reichskanzler die gesamte preußische (und relativ demokratische Regierung) abgesetzt hatte. Manchmal bittet eine Zeitung eine Reihe von Persönlichkeiten einer Stadt zusammen, die ihm dann nacheinander „sitzen“.
Oder er sucht auf eigene Faust interessante Leute auf, bei denen er das Entree vor allem durch das Vorzeigen einer Mappe mit eigenen Arbeiten erreicht, die er immer mit sich herumschleppt. Durch seine besondere Fähigkeit, das Wesentliche einer Physiognomie wie auch einer Bewegung, etwa bei Darstellung von Sportszenen, rasch zu erfassen, wird er zum „rasenden Zeichner und zeichnenden Reporter“ (Brennecke). 1932 überquert er zusammen mit der deutschen Olympiamannschaft auf dem berühmten Passagierdampfer „Europa“ den Atlantik, um den Olympischen Spielen in Los Angeles beizuwohnen, eine wunderbare Arbeitsgelegenheit für ihn, da er eine Menge Leute auf ganz engem Raum zusammen hat. Kurz vor der Rückreise nach Europa gelingt es ihm, zu dem damaligen amerikanischen Präsidentschaftskandidaten der Demokraten Roosevelt vorzudringen, um ihn zu zeichnen; man gesteht ihm 10 Minuten für die Sitzung zu – kein Problem für Emil Stumpp.
Natürlich gab es auch Situationen, in denen er viel Mühe aufwenden musste, um zum Erfolg zu kommen. Zitat: „Wenn man seine Mappe mit der Ausbeute von „Köpfen“ zeigt, kriegt man oft zu hören: „Sie führen aber ein interessantes Leben. All die berühmten Leute kennenzulernen!“ : interessant weniger als arbeitsam. Wieviel Arbeit, Mühe und Enttäuschung ist so mancher Zeichnung vorangegangen. Die Zeichnung selbst ist manchmal in einer knappen Viertelstunde entstanden, aber Tage gehörten der Vorbereitung. Brieflich anfragen, telefonieren, Schaffen einer Vermittlungsstelle, die Reise nach dem betreffenden Ort. Und die wahrhaft Schöpferischen wohnen oft nicht in den Großstädten, sondern weitab in der Einsamkeit…. Bei ganz Schwierigen taugen aber alle diese Vorbereitungen nichts; da muss man eben hingehen, auf die Gefahr des Nichtantreffens oder des Abgewiesenwerdens hin.“ Und trotzdem: „Die Arbeit ist so schön! Auch in dieser Erscheinungsform, die mit der Presse so zusammenhängt und mit dem Journalismus viel gemeinsam hat….. Nach durchfahrener Nacht in einer fremden Stadt anzukommen, vielleicht mit der Absicht, nur dies oder jenes zu erledigen, und dabei dies oder jenes anzusehen, um in ein paar Stunden weiterzufahren – und aus diesen Stunden werden Tage und Wochen – man geht in der Stadt, und sie nimmt mehr und mehr gefangen, und Aufgaben tun sich auf, die man nie geahnt hat, und je länger man bleibt, desto mehr….“
Neun Jahre waren ihm gegönnt, um in dieser Art zu arbeiten, rastlos von einem Termin zum nächsten eilend, häufig auf Reisen mit der Bahn, während derer Tagebuch geschrieben wird oder auch Mitreisende portraitiert werden. Und er hat einen großen Teil der damals wichtigen Leute portraitiert, von Friedrich Ebert bis Konrad Adenauer, von Franklin D. Roosevelt bis Antony Eden, von Anatoli Lunatscharski bis Maxim Litwinow und Karl Radek, von Albert Einstein bis Sven Hedin, von Heinrich George bis Emil Jannings, von Bert Brecht bis Thomas und Heinrich Mann, von Igor Strawinsky bis Paul Hindemith, von Max Liebermann bis Max Pechstein. Auch viele Nobelpreisträger sind darunter: Gustav Stresemann und Aristide Briand, Ludwig Quidde und Fernand Buisson, Svante Arrhenius, Fridtjof Nansen, Carl von Ossietzky u.a.. Es soll nicht verschwiegen werden, dass er bedauert hat, bei dieser Lebensführung eigentlich nur wenig um seine fünf Kinder kümmern konnte, zumal 1928 seine Frau Hedvig gestorben war, und ab da seine Schwester Julie den Königsberger Haushalt führen musste.
Der Bruch kommt im Jahre 1933: Aus Anlass des Führergeburtstages bringt der „Dortmunder Generalanzeiger“ unter der Überschrift „Dem Kanzler zum Gruß“ (die allein schon zeigt, wie sehr auch dieses linksliberale Blatt politisch unter Druck ist) am 20.April ein Hitlerportrait aus Stumpps Hand, das wenige Tage zuvor während einer Hitlerrede im Berliner Sportpalast entstanden war – Hitler hatte ihm also nicht „gesessen“ – und das nicht den Beifall der Nazipartei findet. Stumpp hatte gezeichnet, was er gesehen hat; Künstler sehen oft mehr als andere Menschen. Jedenfalls befindet die Nazipartei, der Zeichner habe dem Portrait „in böswilliger Absicht einen entstellenden und ins Gemeine ziehenden Ausdruck verliehen“. Und das genügt als Grund, um einschneidende Maßnahmen zu ergreifen: Der „Dortmunder Generalanzeiger“ wird verboten – und erscheint schon am nächsten Tag wieder, diesmal als Organ der NSDAP. Emil Stumpp erhält Publikationsverbot, was für ihn das wirtschaftliche Aus bedeutet, denn er hatte ja vom Publizieren gelebt und nur zu einem ganz geringen Teil vom Verkauf von Bildern. Dieses Vorgehen schien spontan zu sein, in Wirklichkeit waren die Aktionen von langer Hand vorbereitet gewesen, zumal Stumpp seit der Veröffentlichung eines früheren Hitlerportraits auf der Schwarzen Liste der Nazis gestanden hatte.
Er zieht sich zunächst aus der Öffentlichkeit zurück, arbeitet mehrere Wochen für die Familie des mit ihm befreundeten Diplomaten Otto von Hentig und dann vor allem im Saarland, das zu diesem Zeitpunkt (bis zum Januar 1935) ja noch frei von der Naziherrschaft war. Um etwas zu haben, das direkt verkäuflich ist, wendet er sich mehr der Landschaft zu und auch dem Aquarell. Und er muss wieder zu dem Verfahren aus der Frühzeit seiner künstlerischen Tätigkeit zurückkehren: Er verteilt seine Bilder auf Freunde und seine fünf Geschwister, die diese dann direkt zu verkaufen versuchen. Er weicht nun immer wieder ins Ausland aus, zunächst nach Skandinavien, wohin er ja durch die Verwandtschaft seiner verstorbenen Frau vielfältige Beziehungen hat. Bald dehnt er seine Reisen noch weiter aus, etwa in die Tschechoslowakei, wo er seine „Prager Mappe“ ( 20 Lithographien mit Prager Motiven) zeichnet, für die der bekannte Schriftsteller Carel Capek ein Vorwort schreibt. Weitere Ziele für große Reisen sind Frankreich, die Schweiz, Schottland, England, Spanien, Marokko. Vielfach tritt er diese Reisen nahezu ohne Bargeld an, das Portraitieren etwa eines Bauern muss die Mahlzeiten für den Tag erbringen.
Im Februar 1940, als der zweite Weltkrieg also schon längst im Gange war, erhält er in Stockholm die telegraphische Nachricht, dass seine jüngste Tochter Hilde, Schauspielerin in Tilsit, lebensgefährlich an Hirnhautentzündung erkrankt sei. Sofort reist er nach Deutschland. Sein Kind trifft er nicht mehr lebend an, aber als er nach der Beerdigung und der Regelung der notwendigen Dinge wieder nach Schweden will, wird ihm die Ausreise verweigert. Er muss sich also in Deutschland wieder einrichten. Er zeichnet viele ostpreußische Landschaften und eine Rostocker Mappe, malt Aquarelle, besonders auf der Kurischen Nehrung, wo er sich im September 1940 ein kleines Zimmer in Perwelk gemietet hat.
Dort wird er am 2.Oktober nach einer Denunziation verhaftet. Seine Vergehen: Er hatte seinem Vermieter gegenüber geäußert, nicht jeder Engländer sei, wie ständig aus dem Radio zu hören war, ein Verbrecher, und die Tatsache, dass er sich mit französischen Kriegsgefangenen unterhalten hatte. Während der nun folgenden Untersuchungshaft, „Schutzhaft“ genannt, darf er noch malen und zeichnen. Einige Aquarelle aus dieser Zeit zeigen das Innere seiner kargen Gefängniszelle, die meisten aber bilden mit einem erstaunlichen Detailreichtum noch einmal die Motive ab, die er in den letzten Jahren gemalt hatte: Sehr viele Landschaften aus Spanien und Marokko und auch aus Deutschland und Skandinavien. Und eine ganze Reihe von Selbstbildnissen. Unter eines schreibt er: „Nach 9tägiger Schutzhaft – Schutz wessen vor wem?“.
In seinem Tagebuch gibt es vor allem ein Thema: der Hunger. Er ist sein ständiger Zellengenosse, den er mit sicher manchmal zweifelhaften Methoden zu bekämpfen versucht. So isst er manchmal Mahlzeiten nicht ganz auf, um sich einen größeren Vorrat an Speise zusammenzusparen, den er dann auf einmal aufessen kann, um endlich einmal das Gefühl des Sattseins zu spüren.
Im Prozess am 14. Jan. 1941 wird er wegen Verstoßes gegen das Heimtückegesetz und wegen verbotenen Umgangs mit Kriegsgefangenen zu einem Jahr Gefängnis verurteilt. Im offiziellen Nazijargon hieß es, dieses Verhalten widerspreche dem „gesunden Volksempfinden“. Die Strafe scheint milde zu sein, doch er wird sie nicht überleben. Was ihn besonders trifft, ist das Verbot zu malen. Und der Hunger wird ständig schlimmer. Anfang April soll er verlegt werden vom Königsberger Gefängnis ins Gefängnis Stuhm (polnisch Sztum) im Süden Ostpreußens.
Am 5.April stirbt er nach dieser Fahrt von 150 km bei grimmiger Kälte im ungeheizten Eisenbahnwaggon, laut Totenschein an Lungenentzündung. In Wirklichkeit sind es natürlich die Haftbedingungen, die ihn umgebracht haben: Vor wenigen Tagen noch war dem ursprünglich großen, ausgesprochen athletischen, inzwischen um 30 kg abgemagerten Mann amtsärztlich bescheinigt worden, uneingeschränkt haftfähig zu sein. Zwei vom Tode ihres Vaters benachrichtigte Töchter und der Ehemann der einen müssen den kaum mehr erkennbaren Leichnam unter abenteuerlichen Bedingungen in einem schleunigst besorgten Sarg auf einem Handkarren zur Eisenbahn schaffen, um ihn dann einige Tage später in Königsberg beerdigen zu können.
Ein kleines Wunder ist es, dass bei den Habseligkeiten ihres Vaters, die sie aus dem Gefängnis mit herausnehmen können, sich auch die Tagebücher dieser Zeit befinden. Das ist umso erstaunlicher, als darin auch sehr heikle Dinge notiert waren, etwa dass dieser oder jener Gefängnisbeamte sich auch zu den politischen Gefangenen einigermaßen menschlich verhalte und andere aber nicht. Oder die Art und Weise, wie die Strafgefangenen erfahren, dass in der Nacht wieder eine Hinrichtung vollstreckt worden ist oder vollstreckt werden soll. Jedenfalls weiß man heute durch diese geretteten Gefängnistagebücher recht genau über Einzelheiten Bescheid.
Der Mensch war damit vernichtet. Das, was er geschaffen hatte, aber noch vorhanden. Die drei Töchter (der Sohn Hermann war Ende 1941 vor Leningrad gefallen) einigten sich, die Bestände im Wesentlichen in Berlin, wo ja das „Atelier“ gewesen war, zusammenzulassen, neben den kleineren Mengen an Graphiken, die auf die Geschwister ihres Vaters zum Zwecke des Verkaufs verteilt worden waren. Der größte Teil seines Werkes von ca. 20 000 Lithographien und vielen Aquarellen und auch Ölbildern konnte trotz einer Reihe von kleineren Bombenschäden und acht Umzügen einigermaßen unbeschadet den Krieg überstehen. Das ist vor allem dem Einsatz seines Schwiegersohns Kurt Schwaen zu verdanken, der selbst als Kommunist Jahre seines Lebens im Nazizuchthaus Bautzen zugebracht hatte, ab Febr. 1943 als „bedingt wehrwürdig“ zur Strafdivision 999 eingezogen worden war und später in der DDR als Komponist bekannt geworden ist. Er sorgte dafür, dass die erste Kunstausstellung in dem zertrümmerten Berlin nach dem Kriege, die vom sowjetischen Stadtkommandanten General Bersarin genehmigt werden musste, am 10.Juni 1945 eine Emil-Stumpp-Gedächtnisausstellung war.
Seit Beginn der 1990er Jahren bis Ende 2023 waren die Bestände des eigentlichen Emil-Stumpp-Archivs bei Michael Stumpp als einem Sohn des Bruders Adolf von Emil Stumpp in Gelnhausen konzentriert. Anfang 2024 wurde schließlich der künstlerische Nachlass Emil Stumpps dem Exilarchiv der Deutschen Nationalbibliothek in Frankfurt am Main übergeben und ist fortan öffentlich zugänglich.
Daneben gibt es allerdings auch noch große Sammlungen. Das Deutsche Historische Museum in Berlin hat etwa 900 Blätter, das Institut für Zeitungsforschung in Dortmund etwa 400 und außerdem eine große Zahl von Tagebüchern und sonstigen Manuskripten aus dem Zusammenhang mit seiner Tätigkeit für den „Dortmunder Generalanzeiger“. Der Deutsche Bundestag 300, etwas kleinere Mengen die politischen Stiftungen der Parteien, Universitäten, das Deutsche Literaturarchiv in Marbach und natürlich viele Museen und Graphiksammlungen. Vor zwei Jahren hat sich ein Sammler aus England gemeldet, der 400 Blätter besitzt und wenig später ein privater Sammler aus Berlin mit 350 Lithographien und Originalzeichnungen.
Zum Schluss ein Zitat von Ernst Wiechert. Der Schriftsteller schreibt in seinem autobiographischen Werk „Jahre und Zeiten“ über seinen ehemaligen Kollegen: „Stumpp war ein überzeugter Sozialist und ein Mensch mit eigenen Gedanken, ein furchtloser und makelloser Charakter (…). Er wurde zu einer Gefängnisstrafe verurteilt und ist während der Haft gestorben, aufrecht und furchtlos, und wenn ich mich seines Löwenhauptes erinnere, erinnere ich mich auch des besten, was ich auf der Erde besessen habe: der Freundschaft und Liebe der wenigen Furchtlosen, die wir in unserem Lande in den Zeiten der Furcht gehabt haben.“